der Osten Münsters ist seit mehr als 120 Jahren geprägt von seinem Hafen mit der Schleuse und dem Dortmund-Ems-Kanal. Der nebenstehende Plan zeigt das ursprünglich unbebaute Gelände, das als Weide- und Ackerland genutzt wird.
Dieser Beitrag führt durch die Geschichte dieses Stadtgebietes.
Vor einigen Jahren habe ich bereits über den Hafen geschrieben. Nun folgt eine neue, erweiterte Fassung.
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Der nebenstehnde Plan von 1892 zeigt das östliche Stadtgebiet, und zwar vor dem Bau des Dortmund-Ems-Kanals und des Hafens.
Der damalige Besitzer des Stadtplans hat das neu Entstandene mit einem Bleistift eingezeichnet. Der handschriftliche NB!-Vermerk (nota bene = wohlgemerkt) aus dem Jahr 1900 hat den Text: ,Die Beistifteintragungen sind 1897-1899 hinzugekommen'. Skizziert sind unter anderem ein Elektrizitätswerk, eine Gasanstalt mit seinem Gasometer, der neue Hafen und der Dortmund-Ems-Kanal. Eingezeichnet sind auch die Bahngleise, die parallel zum Hafen verlaufen.
Nordöstlich von Münster kreuzt eine vorhandene Bahnlinie den entstehenden Dortmund-Ems-Kanals. Eine Eisenbahnbrücke wird über den Kanal gebaut. Südlich davon werden bis 1898 eine Schleusenkammer mit zwei Stemmtoren gebaut. Die Hubhöhe beträgt rund sechs Meter. - Im Laufe der Jahrzehnte wird die erste Schleuse erneuert, und zwei weitere Scheusenkammern werden gebaut - angepasst an die inzwischen deutlich größeren Schiffe
Bereits im Frühjahr 1899 wird der Kanal erstmals von Emden bis Dortmund mit einem Schiff befahren, und zwar vor der offiziellen Eröffnung.
Die Lage des Hafens ist optimal gewählt: in nächster Nähe befinden sich der Güterbahnhof und später das Straßenbahndepot und die Halle Münsterland. 1905 ist auch die Nordseite mit einer Gleisanlage ausgestattet. Der kleine Stadthafen II wird für die Spedition Aug. Peters erbaut. Auch das Bauunternehmen Peter Büscher siedelt sich hier an. Etwas weiter südlich enstehen später die Silos der WCG (heute Agravis).
Bereits 1891 hat die Dampfmühle Kiesekamp einen neuen Standort gefunden. Man weiß, dass der Hafen mit dem Dortmund-Ems-Kanal optimal für die Firmenentwicklung sein wird. Aber der Neubau liegt nicht direkt am Hafen, so dass eine Überbrückung (siehe rote Linie) über den Albersloher Weg gebaut wird. Das im 2. Weltkrieg zerstörte Gebäude wird wieder aufgebaut und letztlich 1997 abgerissen.
Am Ende des Hafenbeckens wird ein imposantes Denkmal errichtet, das einen Seefahrer mit Südwester und Steuerrad zeigt (Zerstörung 1944).
Anfang des 20. Jahrhunderts verfügen Kanalkähne über keinen eigenen Antriebsmotor. Dampfbetriebene Schlepper ziehen Verbände von 5-6 Kähnen, die mit Stahlseilen verbunden sind, hinter sich her.
In den Jahren des Kanalbaus entsteht ab 1892 eine Großbaustelle. Angeworbene Arbeiter aus Polen, den Niederlanden und anderen Ländern nehmen den Aushub vor, arbeiten an den Uferbefestigungen, und auch die Brücken werden von ihnen errichtet.
Die Arbeiter siedeln sich mit ihren Familien im Bereich des Kanals, des Hafens und rechts und links entlang der Wolbecker Straße an. Es sind kleine, einfache Häuser in engen, verwinkelten Gassen.
In diesen Jahren wird auch die Herz-Jesu-Kirche gebaut, die im Jahre 1900 fertig gestellt wird. Sie ist der Mittelpunkt dieses neuen Stadtviertels.
Es sind ,Einfache Leute' verschiedener Nationalitäten, die hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben. Die alteingesessene Bürgerschaft Münsters ist über die neue Nachbarschaft nicht besonders begeistert. Kriminalität und Prostitution - wie übrigens auch im Kuhviertel und an der Sonnenstraße - sind anzutreffen. Hinzu kommen verbreitete ,sozialistische und kommunistische Umtriebe' unter den Arbeitern. Auch Masematte ist in dieser Gesellschaftsschicht gebräuchlich.
Abfällig wird über diese Leute gesprochen, sie würden nicht gut riechen - sie müffeln. Aus dem Müffeln (Masematte: muffen) entsteht alternativ für das Herz-Jesu-Viertel die Bezeichnung ,Klein-Muffi'.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt der Hafen einen rasanten Aufschwung. Umgeschlagen werden überwiegend Getreide und Holz. Aber auch Kohle, Baustoffe und Kolonialwaren werden über den Schiffsweg transportiert.
Der Hafen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Münster und Umgebung geworden.
Als der 1. Weltkrieg beginnt, gehen die Umschlagmengen enorm zurück. Die Inflation, die Weltwirtschaftskrise und unruhige Zeiten in den 1920er Jahren lassen die Transportmengen immer wieder stark schwanken. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen, pendeln sich das Frachtvolumen auf hohem Niveau ein.
Seit 1933 wird der 1. Mai als ,Tag der nationalen Arbeit' gefeiert. Bei einem der Umzüge nimmt im Jahre 1936 auch eine Abordnung der ,Werkgemeinschaft Münsterische Schiffahrt' teil. Das vorneweg getragenen Schild ist in Form eines Eisernen Kreuzes gestaltet. Die Teilnehmer tragen zumTeil Schiffermützen. Es werden Schffsführer, Verwaltungsleute und Hafenarbeiter sein, die auf dem Bild zu sehen sind.
Bereits im August 1940 ist der Hafen mit seinen Industriebetrieben Ziel von Bombenangriffen. Schwere Schäden werden angerichtet und Schiffe zerstört.
Zum Kriegsende ist das Gebiet rund um den Hafen weitgehend eine Trümmerwüste. Im Hafen und im Kanal liegen Schiffswracks. Etliche Spundwände und Kanalböschungen sind demoliert. Blindgänger werden überall im Kanalbett vermutet. Ein Hafenbetrieb ist unmöglich.
Die Wiederinbetriebnahme der Wasserstraße hat der Not gehorchend eine hohe Priorität. Im Sommer 1945 wird das Wasser des Kanals und des Hafens abgelassen. Innerhalb kurzer Zeit können die Wracks gehoben und die Spundwände und Böschungen repariert werden. Bereits im März 1946 wird der Hafenbetrieb wieder aufgenommen.
Dem Lehrer Ernst Wenzel sind die einzigartigen Fotografien des zerstörten Hafens und des Kanals zu verdanken.
Nach dem Krieg übernehmen die münsterschen Stadtwerke die Regie des Hafens. Große Unternehmen lassen die Umschlagszahlen in die Höhe schnellen. Das sind zum Beispiel die Kiesekamp-Mühle, das holzverarbeitende Unternehmen Ostermann und Scheiwe (Osmo-Hallen) und das Bauunternehmen Peter Büscher und Sohn am Stadthafen II. Allein letztere Firma hat eine 200 Meter lange Kaimauer und 50.000 qm Betriebsfläche.
Heute ist es unvorstellbar, dass Anfang der 1960er Jahre einmal mehr als 4000 Schiffe im Hafen gezählt werden.
Bereits in den 1980er Jahren zeichnet sich mit dem abnehmenden Warenumsatz der langsame Umbruch zu einer alternativen Nutzung des Hafens ab.
Zunächst siedeln sich kleinere Unternehmen an. Die erste Disko öffnet Anfang der 1990er Jahre.
Heute ist ein pulsierender Stadtbereich mit Kunst, Kultur, Gastronomie und Büros entstanden. Auch das Wolfgang-Borchert-Theater hat in dem ehrwürdigen Flechtheim-Speicher eine neue Heimat gefunden.
Der alte Hafen hat sich zu einem modernen Kreativkai gewandelt und ist Tag für Tag Anziehungspunkt für viele Menschen. Die einstmals kleine Schleuse hat sich mit drei großen Kammern den neuen Anforderungen angepasst, und der Kanal hat sich durch die Verbreiterung zu einer auch künftig leistungsstarken Wasserstraße entwickelt.
Der Dortmund-Ems-Kanal ist nach wie vor eine belebte Wasserstraße, nur halten die Schiffe nicht mehr in Münsters Hafen.
Außerhalb des Hafens legen Schiffe an den firmeneigenen Kais des Bauunternehmens Pebüso, der Westfalen AG oder der Argravis an. Dort werden auch weiterhin hunderttausende Tonnen jährlich umgeschlagen.
Die Anbindung Münsters an eine Wasserstraße, die zu den Seehäfen der Nordsee führt, ist ein langgehegter Traum. Der erste Realisierungsversuch der Fürstbischöfe Clemens-August und Max-Friedrich findenim 18. Jahrhundert statt. Der Max-Clemens-Kanal wird gebaut, der nur kurzzeitig bis 1840 in Betrieb ist. Von diesem Bauwerk zeugt heute ein versumpftes und zugewachsenes Kanalbett, das parallel zur münsterschen Kanalstraße entlang führt.
Doch der Traum wird Ende des 19. Jahrhunderts zur Realität und hat das östliche Stadtgebiet Münsters bis auf den heutigen Tag tiefgreifend verändert und geprägt. Dort, wo einst Kühe weiden, Getreide wächst und Bürger ihren Gemüsegarten hatten, ist ein lebendiges Stadtviertel entstanden.
Quellen
Abbildungen: Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv)
Text: Henning Stoffers