Liebe Leserin, lieber Leser,

was vor 200 Jahren berichtenswert war, verrät das ,Amts-Blatt der königl. Regierung zu Münster'. Penibel sind Wetterlagen, Unglücksfälle und Brände aufgeführt. Es kommen aufgegriffene ,ausländische Vagabunden' nach halbjähriger ,Sitzzeit' zur Abschiebung über die Grenze. Und wie der Tod eines Menschen festgestellt werden muss, wird bis ins kleinste Detail beschrieben. Bürokratisch regelt eine Tabelle, welche Gebühren für die Benutzung einer Straße anfallen. Und ausführlich beschäftigt sich ein Abschnitt über das Fangen von Mäusen.

 

Dieser Rückblick führt in eine längst vergessene Zeit.

 

Alle Abbildungen können durch Anklicken vergrößert werden.


Geschehnisse aus dem Jahre 1822

Wegezoll - Vor 200 Jahren: Bürokratie vom Feinsten

Gar nicht selbstverständlich ist in früheren Jahrhunderten die gebührenfreie Nutzung von Straßen. Wegezoll oder Pflastergeld werden eingefordert.


Abkassiert wird an Stadttoren, Zollhäusern, Furten, Straßengabelungen etc. Alte Namen erinnern daran, wie zum Beispiel ,An'n Schlagbaum', der Bakenhof an der Roxeler Straße, am Scharfen Eck an der Weseler Straße oder das Alte Zollhaus in Münster-Kinderhaus.

 

Viel differenzierter als bei der heutigen LKW-Mautgebühr wird 1822 das ,Chausseegeld' festgesetzt. Die Höhe der Gebühr ermittelt sich nach vielfältigen Kriterien.

Heftig wird um die Festsetzung der Gebühren diskutiert und gestritten worden sein, wenn es zum Beispiel um die Anwendung der folgenden Bestimmung geht: ,Ein Fuhrwerk, welches nicht den vierten Theil seiner Ladung hat, wird als unbeladenes behandelt.' Gleiches gilt für Kopfnägel oder Beschläge, die einen halben Zoll und mehr an den Rädern eines Fuhrwerkes vorstehen. Ein Zollstock wird ein gefragtes Utensil gewesen sein.

 

Quintessenz: Alles bis ins Kleinste zu regeln, ist nicht immer hilfreich...


Über die ,Vertilgung' von Feldmäusen

Bis in die heutige Zeit gefährden Feldmäuse die Getreideernten. Man spricht von der Nagerinvasion, von fetten Mäusen und kahlen Feldern. Sogar die Landwirtschaftsministerien schalten sich ein.

 

Vor 200 Jahren war die Situation nicht viel anders als heute. Das Amtsblatt verrät ein probates Mittel, wie man sich der kleinen Nager entledigen kann. Sprachlich wird von der ,Vertilgung' gesprochen, was heute eine andere Sinnhaftigkeit hat. Wenigstens dreimal täglich solle man nachschauen, ob Mäuse in der Röhre gefangen sind, um sie dann grausam zu töten.


Ausweisung von ,Vagabunden'

Zu den Vagabunden - also Menschen ohne festen Wohnsitz - gehörten Randgruppen der Gesellschaft. Meistens waren es Gaukler, Bärenführer, Artisten, Jenische, Sinti und Roma.

 

Die 19 nachstehenden ,ausländischen Vagabunden' wurden an verschiedenen Orten aufgegriffen, festgenommen und nach einer halbjährigen ,Sitzzeit' im Landarmenhaus des Landes verwiesen. Man notierte genauestens die individuellen Personenmerkmale, Geburtsort, Konfession etc. Die jüngste Person war 13, die älteste 90 Jahre alt. Bei einigen Personen sind ,Kennzeichen' angegeben, zum Beispiel das Beisein eines dreijährigen Knaben bei einer Frau, ein Mann ist ,ganz blind' und hat einen gebrochenen Arm, ein anderer ist gezeichnet von Blatternarben.

Welche Schicksale sich mit diesen Menschen verbinden, und was aus ihnen geworden ist, werden wir nicht mehr erfahren. Geblieben ist bis heute das Instrument der Ausweisung/Abschiebung.


Über die Feststellung des Todes

Zitat: ,Um das Lebendigbegraben zu verhüten und die Rückkehr

zum Leben von Scheintoten zu befördern...'

Bis ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus gab es die nicht unbegründete Angst, lebendig beerdigt zu werden. Eine Urangst, die auch heute noch bei einigen Menschen besteht.

 

Es gab Berichte über Graböffnungen, bei denen Kratzspuren an den Innenseiten der Sargdeckel festgestellt wurden, die offensichtlich von den Beerdigten stammten. Und auch andere Indizien wiesen darauf hin, dass beerdigte Menschen noch gelebt hatten und qualvoll erstickt waren.

 

Um solchen tragischen Schicksalen entgegenzuwirken, wurden entsprechende Gesetze und Verordnungen erlassen, wie zum Beispiel diese hier vorgestellte Veröffentlichung. Ziel ist es, aufzuklären und klare Regelungen zu schaffen, wie in einem Todesfall vorzugehen ist. Als Kernregelung kann die verbindlich festgelegte Zeitspanne zwischen Tod und Beerdigung betrachtet werden.

,Es ist bemerkt worden, daß mit dem Beerdigen Verstorbener nicht vorsichtig genug verfahren wird.', so lautet der einleitende Text dieser Verordnung. Und so wird festgelegt, dass bei einer vorzeitigen Beerdigung ein Arzt den Tod bescheinigen muss:

Der folgende Abschnitt enthält Empfehlungen zur Wiederbelebung. So soll zum Beispiel eine Feder unter die Nase gehalten werden oder laut in die Ohren gesprochen werden:

Bleiben die empfohlenen Maßnahmen erfolglos, wird die Leiche je nach Jahreszeit ein bis drei Tage in einen Sarg gelegt, der nicht verschlossen wird:

Anzeichen des Todes sind die folgenden Merkmale:


Über Wetter, Krankheiten und Unglücksfälle

Wenn wir den Bericht für den September 1822 lesen, sind wir doch erstaunt, wie wenig sich die Dinge im Vergleich zur heutigen Zeit geändert haben. Lediglich die Ausdrucksweise der Sprache wirkt etwas antiquiert.

Ausführlich wir über das Wetter des Monats September 1822 berichtet. Der Ostwind ist warm und trocken. In der 2. Monatshälfte bringt der erwünschte Regen für die Wintersaat gute Voraussetzungen.

 

Im Münsterland sind Menschen von einer anhaltenden Scharlacherkrankung betroffen. In einem Dorf wird ein bösartiges Nervenfieber (heute Bauchtyphus) festgestellt, und einige Ruhrerkrankungen werden vereinzelt vermerkt.

 

Auch von Unglücksfällen wird berichtet: der Brand eines Hauses, ein Kind ertrinkt in einer Mistpfütze, ein anderes wird von siedender Milch verbrüht, ein drittes stirbt durch einen Wurf, ein Mann fällt von einem Boden und stirbt, ein anderer wird von einem Straßenräuber getötet, und ein depressiver Bauer erhängt sich.

 

Und auch dies geschieht im Jahre 1822: Ein junger Mann betrinkt sich und stirbt durch den übermäßigen Alkoholgenuss. Dieses Phänomen existiert heute unter der Bezeichnung ,Komatrinken'.


Kleines Schlusswort

In den letzten 200 Jahren brachte die stürmische Entwicklung der Forschung und der Wissenschaft viele neue Erkenntnisse und große Fortschritte für das Leben der Menschen. Dennoch täuscht dies nicht darüber hinweg, dass die damaligen Probleme und Lebensschicksale durchaus Ähnlichkeit mit denen der heutigen Zeit haben. Zwar lassen sich heute viele Krankheiten heilen, auch der Tod kann eindeutiger festgestellt werden, aber Ängste und Nöte sind geblieben.


Quellen

Abbildungen: Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv)

Text: Henning Stoffers