im November 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

diese Geschichte führt Sie in das alte Münster der Jahre 1910 bis 1960. Drei münstersche Fotografen - stellvertretend für viele andere - stelle ich mit ihren Bildern und ihrem Leben vor. Ihr persönlicher Blickwinkel verleiht den Fotografien einen besonderen Reiz.

 

Auch die damals stark verbreitete Ansichtskartenfotografie hat ihren herausragenden historischen Wert, denn sie zeigt die alte Stadt mit vielen im Krieg zerstörten Bauwerken, Straßen und Sehenswürdigkeiten. - All dies sind Zeugnisse einer vergangenen Zeit.


Fotografen und Bilder

Die Fotografie eines Jahrhunderts ist Thema

meines aktuellen Lichtbildervortrages im Schlosstheater.

Einen kleinen Auschnitt zeige ich an dieser Stelle.

Professor Joseph Geyser

Blick von der Promenade auf den Buddenurm
Blick von der Promenade auf den Buddenurm

Vor einigen Jahren bot mir ein Auktionshaus einige Blätter eines Fotoalbums an. Das Wenige, was zu sehen war, hatte mein Interesse geweckt. Ich wurde nicht enttäuscht: 47 Fotos, teils von exzellenter Qualität, zeigen Münster in den Jahren von 1910 bis 1915.

 

Vermutlich sind es die Aufnahmen von Professor Joseph Geyser. Er war in den Jahren 1904 bis 1917 Ordinarius an der hiesigen philosphischen Fakultät. Eindeutig lässt sich seine Urheberschaft allerdings nicht belegen. Aber Fotos eines Hauses im Kreuzviertel - das Einwohnerbuch weist Geyser als Bewohner aus - und eines Büros der Unversität legen nahe, dass  Geyser der Fotograf gewesen sein muss.

Am Horsteberg
Am Horsteberg
Die Engelenschanze
Die Engelenschanze

Die Wienburg
Die Wienburg

Seine Fotografien beschriftete er erfreulicherweise meistens mit genauen Angaben zum Aufnahmeort und mit dem Aufnahmedatum.

 

Geysers Spaziergänge führten ihn in den Jahren 1910 bis 1915 hauptsächlich in die nördlich vom Kreuzviertel gelegene Umgebung. Entlang der Grevener Straße, der Gasselstiege oder der Kanalstraße ging es in Richtung Kinderhaus, aber auch in Richtung Roxel.

 

Natürlich wurde auch die Innenstadt fotografiert. So sind einzigartige Fotos vom alten Münster erhalten geblieben.

 

Die Werse in Handorf mit Hof zur Linde
Die Werse in Handorf mit Hof zur Linde

Joseph Geyser zeigt eine alte Stadt, deren jahrhundertealte Geschichte in den Bildern zu erahnen und zu spüren ist. Die Bilder strahlen Ruhe und Gelassenheit einer längst vergangenen Zeit aus. Aber dies sollte sich in den kommenden Jahrzehnten drastisch ändern...


Anischtskartenfotografie

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es tausende Ansichtskartenmotive unserer Stadt. Meist waren es in den unterschiedlichsten Ausführungen der Dom, der Prinzipalmarkt, das Schloss und die Lambertikirche.

 

Als 'Correspondenz-Karte' im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eingeführt, ist die Postkarte heute eine besondere Zeitzeugin vergangener Tage. Vieles, was im Laufe der Jahrzehnte zerstört - insbesondere im 2. Weltkrieg - , bombardiert, abgerissen oder verändert wurde, blieb uns durch sie zumindest als Bild erhalten.

1880 war es gar nicht selbstverständlich, eine Zigarren-Bestellung per Postkarte aufzugeben. Herr von Dehn Rothfelser aus Münster muss ein besonders fortschrittlicher Zeitgenosse gewesen sein. Er rügte zudem die schlechte Verpackung der vorangegangenen Lieferung.

Zunächst misstrauisch beäugt, weil man um das Briefgeheimnis fürchtete, entwickelte sich bald eine regelrechte Postkartenmanie. So produzierte im Jahr 1900 eine Frankfurter Postkartenfabrik mit etwa 1200 Angestellten bis zu 100 neue Motive täglich. Kein Wunder, dass fast jedes Dorf und jede Kneipe bald 'eigene' Postkarten hatten.

 

Bei der Gestaltung der Postkarten war der Phantasie keine Grenzen gesetzt. So gab es diese prächtige Prägekarte mit Stadtwappen und pfantasievollen Emblemen. Oder Fotomotive wurden mit Jugendstilelementen verziert.

 

Leporello-Karten waren besonders raffiniert. Dieses Motiv hatte ein Kläppchen am Koffer. Wenn dieses geöffnet wurde, konnten bis zu 10 aneinandergereihte Kartenmotive in Briefmarkengröße herausgezogen werden.

 

Das untere Drittel der Ansichtskarte wurde bei dieser Ansichtskarte freigelassen, damit an dieser Stelle vom Absender Mitteilungen gemacht werden konnten. Die Rückseite diente bis 1906 nur postalischen Zwecken: Empfängeranschrift, Briefmarke und Abgangs-/Ankunftsstempel. Weitere Einträge waren nicht zulässig. Anhand der Poststempel lässt sich die damalige Postlaufzeit heute noch feststellen. Die Post war schnell: abends eingeliefert, am nächsten Morgen zugestellt.

 

Als Motiv für Postkarten diente alles, was für den Umsatz des Kartenherstellers förderlich war. Ob Straßenbild, Aufbahrung eines verstorbenen Bischofs, Glückwunschkarte zum Namens-/Geburtstag, Silvestergruß, Fotos des Kaisers und des Adels, Trauerzug anlässlich eines Unglücks, umgestürzte Straßenbahn oder Autounfall, Soldaten, Kinder oder Personengruppen. Einfach alles - sei es geschmacklos oder künstlerisch anspruchsvoll - wurde als Ansichtskarte in Umlauf gebracht.

Die Baugewerkschule (heute Handwerkskammer) am späteren Aasee war zur Jahrhundertwende gebaut worden. Diese dekorative Karte wurde von einem münsterschen Beamten an die Verlobte in Detmold geschickt.

Der Drubbel vor dem Abriss
Der Drubbel vor dem Abriss

Der Höhepunkt des Kartenbooms war zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Teilweise waren auf den Postämtern die Briefmarken ausgegangen. Auch wurde berichtet, dass die Briefkästen von zuvielen Einwürfen verstopft gewesen waren.

 

Was mag man sich vor 120 Jahren geschrieben haben? Zu heute hat sich nichts geändert: Zum Beispiel wurde die Ankunft des Zuges mitgeteilt, eine zärtliche, innige Botschaft geschickt oder ein Gruß aus feuchtfröhlicher Runde ausgerichtet.

 

Heute geschieht dies per SMS oder WhatsApp.

Man erhielt Post von Verwandten, Freunden und Bekannten. Gastwirte ließen von ihrer Gaststätte - oftmals geschönte - Ansichtskarten produzieren, die an die Gäste verteilt wurden. Egal welcher Anlass, er wurde für einen Kartengruß genutzt.

 


Carl Pohlschmidt

Immer, wenn ich Münster-Fotos von Carl Pohlschmidt aus den Jahren 1930 bis 1960 sehe, bin ich von der Ausgewogenheit und Aussagekraft der Bilder beeindruckt. Der Nachwelt hat er tausende Aufnahmen der unzerstörten und später zerbombten Stadt Münster hinterlassen. Seine lange Zeit unentdeckten Fotografien aus den Jahren 1943 bis 1946 zeigen Münster in der bittersten Zeit.

Carl (Karl Ferdinand Heinrich) wird 1895 als Sohn des Heinrich Pohlschmidt, wohnhaft Prinzipalmarkt 28, geboren. Der Vater ist Geschäftsdiener bei der Buch- und Kunsthandlung Coppenrath.

 

Carl besucht die Volksschule und beginnt als 14jähriger eine Drogistenlehre bei Wittkamp auf dem Prinzipalmarkt. Zur Ausbildung gehört die Fotografie mit Entwickeln, Vergrößern und den nötigen Laborarbeiten. Nach der Lehrzeit arbeitet er dort noch einige Jahre.

 

Anfang der 1920er Jahre wechselt Carl zur UFA nach Berlin und beginnt mit siner fotografischen Weiterbildung. Er lernt den Umgang mit einer 16 mm Filmkamera. Dann schickt ihn die UFA für 6 Monate nach Brasilien. Carl fotografiert und filmt im Urwald die Ureinwohner. Allein zehn Lastenträger stehen ihm für seine Fotoausrüstung und für sein Hab und Gut zur Verfügung. Viele der Bilder werden in  Zeitungen veröffentlicht.

Spiekerhof
Spiekerhof
An der Sonnenstraße
An der Sonnenstraße

Die Sonnenstraße nach Bombenangriff
Die Sonnenstraße nach Bombenangriff
Wochenmmarkt auf dem Domplatz
Wochenmmarkt auf dem Domplatz

Der Norddeutsche Lloyd - ein großes Schifffahrtsunternehmen - wird auf ihn aufmerksam. Carl wird eingestellt und ist für die Titelseite der monatlichen Hauszeitschrift, welches für die Passagiere herausgegeben wird, zuständig. Diese Tätigkeit ist mit Reisen in viele Länder der Erde verbunden. Sie endet 1939.

 

Parallel zu seinen auswärtigen Aufgaben hat Carl Pohlschmidt seit Ende der 1920er Jahre ein geschäftliches Standbein in seiner Heimatstadt Münster.

 

Die Ansichtskartenproduktion macht nur einen kleinen Teil seiner Tätigkeit aus. Trotzdem überrascht die Menge der Münster-Aufnahmen. In den Kriegsjahren fotografiert Carl die Zerstörungen des Bombenkrieges. Eine damals notwendige Genehmigung dürfte er somit gehabt haben.

 

Carl war homosexuell, was in Zeiten der Nazi-Herrschaft und der prüden Nachkriegsjahre für ihn nicht einfach gewesen sein wird. Wie er sich vor Verfolgung und Strafe schützte, ist nicht bekannt.

Angestellte gibt es in seinen Firmen nicht. Lediglich seine Schwester Bernhardine ist für die Buchhaltung zuständig. Erst 1957 wird ein Lehrling eingestellt. Es ist Norbert Muddemann (1937-2017), der  nach seinem Tod im Jahre 1960 sein Nachfolger wird.

 

Norbert Muddemann schildert Carl als einen fröhlichen, geselligen und gebildeten Menschen. Er ist belesen und dem Leben zugewandt.



Ernst Wenzel

Ernst Wenzel
Ernst Wenzel

Ernst Wenzel wurde am 29.9.1890 geboren und war Lehrer an der Geistschule und nach dem Krieg an der Volksschule in Mecklenbeck.

 

Er diente als Soldat im 1. Weltkrieg. In den Kriegsjahren fotografierte er an der Front seine gefallenen Kameraden zusammen mit deren Erkennungsmarke. Diese Bilder sollten die Identifizierung bei Nachforschungen erleichtern. Die Negative gingen an das Bundesarchiv in Koblenz.

 

Ernst Wenzel lebte zuletzt in Kinderhaus und starb am 8.6.1974.

 

Alle hier gezeigten Bilder stammen aus den Jahren 1940 (vielleicht auch etwas früher) bis Sommer 1945. Die Fotos wurden zum Teil nachbearbeitet.

Leider wurden die Negative nicht beschriftet, sodass die Örtlichkeiten oft nicht zu lokalisieren sind. Dies gilt insbesondere für ein Ferienlager der Hitlerjugend.

 

Seine Fotografien zeigen das Alltagsleben der 1940er Jahre ohne den Ansatz einer Effekthascherei. Es sind oft spontane Schnappschüsse, so wie sich die Motive dem Fotografen zeigten. Er fotografierte Menschen in seiner Nähe, die Natur und Landschaft.

 

Ernst Wenzel hatte seine Kamera griffbereit dabei, und er fotografierte, sobald er ein interessantes Motiv sah. Viele seiner Bilder zeigen das einfache Leben auf dem Lande.


Das Erleben der Kameradschaft, der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und die als schick empfundene Uniform übten einen großen Reiz auf die Jugendlichen aus. Es wurde militärisch in Reih und Glied zum Fahnenappell angetreten, im Gleichschritt marschiert, gesungen, Kartoffelkäfer gesammelt, die Freizeit verbracht und gemeinsam gegessen. Welcher Jugendlicher konnte sich diesen Gemeinsamkeiten entziehen?

 

Neben der ideologischen Indoktrination fand eine vormilitärische Ausbildung statt. Die Organisationen Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädel waren Instrumente der Nazis zur frühen Bindung junger Menschen an ihr System.

Vor mehr als 70 Jahren war die Gegend rund um die Werse still, ländlich und unverbaut. Vereinzelt säumten einfach ausgestattete Bootshäuser die Ufer.

Die albtraumhaften Zerstörungen, insbesondere des Hansaviertels, hat Ernst Wenzel im Sommer 1945 eindrucksvoll dokumentiert. Unter anderem zeigen Fotos das Kanalbett und das Hafenbecken ohne Wasser. Zur Bergung von Bombenblindgängern und der Reparatur der Uferbefestigungen war das Wasser bis 1946 abgelassen worden.

 

Auf wenigen Bildern ist Ernst Wenzel zu sehen. Er vermittelt einen ernsten, zurückgezogenen und gesammelten Eindruck. Das traumatische Erleben als Soldat im 1. Weltkrieg hat seine Spuren hinterlassen. Ein ehemaliger Schüler (90 Jahre alt) der Geistschule bestätigte diesen Eindruck und bezeichnete ihn still, bescheiden und zurückhaltend.

 

Lange Jahre lebte er in seiner Wohnung Hansaring 32 und war Lehrer an der Geistschule bis Kriegsende. Danach arbeitete Ernst Wenzel bis etwa 1960 als Rektor und Lehrer an Mecklenbecker Volksschule. Er wohnte in Kinderhaus und wurde dort 1974 beerdigt.

Bauernhof zwischen Münster und Herbern
Bauernhof zwischen Münster und Herbern

Quellen

Text: Henning Stoffers

Fotografien: Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank - Stadtarchiv) - ULB Münster