im Dezember 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen Tagen bekam ich ein umfangreiches Konvolut aus der Vereinsgeschichte des Männergesangvereins (Abkürzung: MGV) Mauritz-Amicitia von 1888. Günter Kipp, ehemaliges Vereinsmitglied, stellte mir dankenswerterweise die Unterlagen zur Verfügung. Es sind säuberlich geführte Vereinsprotokolle mit einem Archiv der damaligen Korrespondenz und vielen anderen Dokumenten, wie zum Beispiel über Konzerte im Schlossgarten oder im Gertrudenhof.

 

Der kleine Schatz ermöglicht tiefere Einblicke in das lange Vereinsleben des MGV Mauritz-Amicitia, die ich gern an dieser Stelle veröffentliche.

 

Alle Dokumente lassen sich per Klick vergrößern. Das Konvolut wird dem Stadtarchiv übergeben.


Die Geschichte des MGV Mauritz-Amicitia

Auszug aus dem Einwohnerbuch von 1911
Auszug aus dem Einwohnerbuch von 1911

Zu Münsters Geschichte gehört auch ein besonders intensives Vereinsleben, das ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1950er Jahre und etwas später seine Blütezeit hatte. Die Einwohnerbücher aus jenen Jahren dokumentieren eine breite, vielfälttige Palette bürgerlichen Engagements.

 

Neben der Vielzahl der Schützen-, Krieger-, Turn-, Brauchtums-, Sittlichkeits-, Antialkoholiker- und Wohltätigkeitsvereine, studentischen Verbindungen etc. sind insbesondere auch an die 40 Gesangvereine zu nennen.

Aus der Vereinsgeschichte - Teil I

1893: Änderung der Statuten nach fünf Jahren
1893: Änderung der Statuten nach fünf Jahren

Der Männergesangverein Mauritz-Amicitia entsteht 1933 aus dem Zusammenschluss des MGV Amicitia von 1908 (vormals MGV Postalia) und des MGV Mauritz von 1888.

 

Im Laufe der Vereinsgeschichte schließen sich weitere kleinere Vereine dem MGV Mauritz-Amicitia an. Grund für die Zusammenschlüsse sind in erster Linie die geringe Zahl der Sänger. Viele dieser Vereine sind für öffentliche Auftritte ungeeignet und auch nicht ,konzertfähig' für Vorstellungen mit dem städtischen Orchester. Auch gibt es keine  finanzielle Unterstützung seitens der Stadt.

1931: Klage über mangelnde Unterstützung
1931: Klage über mangelnde Unterstützung

Im rechts abgebildeten Dokument wird die Situation kleinerer Vereine verdeutlicht. Die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Notlage trifft die Vereine besonders hart.

Konzerte

Nach vielen Probenabenden sind die öffentlichen Auftritte die Höhepunkte eines jeden Gesangereins. Es gibt Gesangwettstreite in Münster und in anderen Städten, an denen begeistert teilgenommen wird.

Konzert im Gertrudenhof an der Warendorfer Straße
Konzert im Gertrudenhof an der Warendorfer Straße
Konzert im Schlossgarten - Leitung von Werner Göhre
Konzert im Schlossgarten - Leitung von Werner Göhre

Die beiden Konzert-Programme mit seinem deutschem Liedgut lassen den damals vorherrschenden deutschnationalen Zeitgeist anklingen. - Zum münsterschen Kulturgut gehören die Lieder und das Tanzen rund um die Lambertus-Pyramide. Dieser Programmteil dürfte nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei den Älteren großen Anklang gefunden haben.

 

Das Konzert im Schlossgarten leitet Werner Göhre (1882 - 1970) statt. Er ist Direktor der Westfälischen Schule für Musik und stellvertretender Dirigent des Städtischen Orchesters Münster.

Generalversammlungen

Kassenbuch 1902-1903
Kassenbuch 1902-1903

Im jährlichen Rhythmus finden die Generalversammlungen statt. Ins Protokollbuch werden die säuberlichen Niederschriften des Schriftführers festgehalten und vom Vorsitzenden gegengezeichnet. Der MGV Mauritz-Amicita ist kein im Vereinsregister eingetragener Verein, aber er ist Mitglied des Männerchorbundes Münster und des Westfälischen und Deutschen Sängerbundes.

 

Die Tagesordnungspunkte der Versammlungen ähneln sich über Jahrzehnte weitgehend. Es geht in der Regel um Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungen, Vorstandswahlen, Rückblick aufs vergangene Jahr etc.

 

Über alle Einnahmen und Ausgaben wird penibel Buch geführt. Auch die kleinsten Ausgaben, zum Beispiel Kauf einer Briefmarke oder ein Trinkgeld von 5 Pfennig,  vermerkt der Kassierer im Kassenbuch.

 


Im vorstehenden Protokoll fehlt es nicht an deutlichen Ermahnungen: man solle pünkltich zu den Proben kommen, sich ruhig verhalten und das Thekenlaufen vermeiden.

Mitgliedschaft

Verinslokal Frönd
Verinslokal Frönd
Neujahrsgruß Fotoatelier Sonntag
Neujahrsgruß Fotoatelier Sonntag

Ab 21:30 Uhr finden die Proben im Vereinslokal Frönd in der Warendorfer Straße statt. Sie enden in geselliger Runde meist nach Mitternacht. Der späte Beginn erklärt sich durch die lange wöchentliche Arbeitszeit von oft mehr als 60 Stunden.

Mit der Kündigung der Mitgliedschaft ist der Vereinsvorstand schnell zur Hand. Wer öfters ohne triftigen Grund fehlt, bekommt eine frostige Benachrichtigung über die Beendigung der Mitgliedschaft per Post ins Haus, und zwar ohne persönliche Anrede.

 

Das es aber auch anders gehen kann, zeigt der nachstehende Fall:

Ein Sangesbruder hat seine Kündigung erhalten. Er entschuldigt sich demütig für sein Fehlen. Er hätte einige Bierchen über den Durst getrunken und sich nicht mehr in der Lage gefühlt, richtig singen zu können. Er bittet den Vorstand, seinen Leichtsinn milde zu beurteilen. Der Brief wird sodann in der Gesangstunde vor Mitgliedern verlesen. Seine Entschuldigung wird angenommen, aber mit der dringlichen Ermahnung, dass sich ein solches Vorkommnis nicht wiederholen dürfe.


Im Übrigen kommt die Geselligkeit nicht zu kurz. Es werden Schützen- und Winterfeste gefeiert. Daneben kann an Omnibusfahrten - zum Beispiel an den Möhnesee - und Maskenbälle teilgenommen werden. Zudem sind viele Sangesbrüder zusätzlich Mitlglied in einem Schützenverein und anderen Vereinen.


Kartengruß eines amerikanischen Sangesbruder.

Aus der Vereinsgeschichte - Teil II

Mit Beginn des 2. Weltkrieges kommen die Vereinsaktivitäten völlig zum Erliegen. Die jungen Sangesbrüder werden zur Wehrmacht eingezogen. Die Reihen der Mitglieder lichten sich immer mehr, die Proben werden kaum noch besucht, das Vereinslokal Frönd liegt nach einem Bombenangriff in Schutt und Asche. Am 31.1.1940 enden die Einträge im Protokollbuch mit der Unterschrift des Vorsitzenden Heinrich Niester.

 

Sechs Jahre soll es dauern, bis sich ein neuer Eintrag direkt an den vorherigen anschließt. Er beginnt mit den Worten

,In schwerer Zeit zum Licht bereit'.

Heinrich Niester wird als Vorsitzender bestätigt und unterschreibt das erste Nachkriegsprotokoll.

 

Neue Medien halten Einzug. Das Freizeitverhalten ändert sich. Die Zahl der Mitglieder geht im Laufe der Jahre stetig zurück. Wenige Sänger trefen sich letztmalig im Jahre 2008. Der MGV Mauritz-Amicitia hat sich nach 120 Jahren aufgelöst.

 

Ein liebenswerter Bereich des kulturellen Lebens unserer Stadt ist weitgehend verschwunden. Das Singen und das Miteinander in der Gemeinschaft erfüllte eine wichtige, die Menschen verbindente soziale Funktion. Ob Handwerker, Angestellter, Beamter oder Kaufmann, sie trafen sich zum gemeinsamen Singen und zu anderen Freizeit-Aktivitäten. Die Sänger kannten sich und konnten mit Rat und Tat Anteil an den Sorgen des Anderen nehmen.

Ein Schlusswort

Die Protokolle und sonstigen Dokumente geben einen kleinen Einblick in das Vereinsleben jener Jahre. Die Mitgliedschaft hatte einen besonderen Stellenwert, nämlich einer Gemeinschaft zugehörig zu sein. Wie wichtig dies war, ist aus etlichen Schriftstücken erkennbar.

von links: Bestatter Averbeck, Friseur Rösberg, Gastwirt Frönd
von links: Bestatter Averbeck, Friseur Rösberg, Gastwirt Frönd

Einige der Menschen, die in den Unterlagen genannt werden, kannte ich aus meiner Zeit der frühen 1960er Jahre, als ich an der Warendorfer Straße wohnte.

 

Da gab es den Friseur Rösberg, bei dem ich Kunde war. Er schnitt auch Patienten im nahegelegenen Franziskushospital die Haare. Mit der jüngeren Tochter des Bestatters Averbeck traf ich mich einige Male, und natürlich kannte ich auch Tabakwarenhändler Niester, der seinen Laden an der Einmündung zur Stiftsstraße hatte. Ab und an sah ich den Schreinermeister Ahlene auf seinem Fahrrad, der auch Mitglied des Vereins war.

 

PS

Es war für mich eine Überraschung, Jahrzehnte später über die Freizeitgestaltung dieser Männer zu lesen.


Leserzuschrift Peter Ahlene

Mit Freude und Interesse hab ich Ihren Artikel gelesen, zumal ich auch noch mit den Herren Rösberg und Niester viele Jahre zusammen gelebt habe.

 

Bei meinem Großvater Heirich Ahlene muss ich etwas berichtigen. Er war Schreinermeister* und hatte hinter dem Haus Warendorfer 59 eine Schreinerei mit Zugang von der Dodostraße. In späteren Jahre betrieb er einen Holzhandel. Seine Frau Maria geb. Stoffels hatte den Textiladen.

 *Korrektur erfolgt

Das Fahrrad meines Opas hatte Felgen und Schutzbleche aus Holz!! Das Hinterrad war links mit einer ca. 20cm langen Schraube befestigt. Zum Aufstieg stellte er das linke Bein auf jene Schraube und schwang anschliessend das rechte Bein rüber. Wurde immer bewundert.


Quellen

Text: Henning Stoffers

Konvolut MGV Mauritz-Amicitia