Liebe Leserin, lieber Leser,

Kaplan Nicolaus Antonius Lepping (1766-1836) hat seine Erinnerungen an die Jahre 1794 bis 1832 in einer Chronik niedergeschrieben. Viele Flüchtlinge aus Frankreich kommen nach Münster. Sie in ihrer Vielzahl unterzubringen bereitet Probleme, so dass Bauern aus der Umgebung aushelfen. Lepping berichtet über die Enteignung  von Kirchen, Klöstern und von der Auflösung bzw. Aufhebung von Ordensgemeinschaften. Hautnah erlebt er die kurze Herrschaft der Franzosen, die später von den Preußen übernommen wird. Lepping berichtet unter anderem über das Wetter, die Ernten und über schlimme Verbrechen.

 

Auszüge aus diesem Dokument finden Sie hier in einer gekürzten Fassung. Einzelne Abschnitte wurden zur besseren Orientierung mit roten Überschriften versehen.


Über die Chronik

Mittheilungen aus einer kurz gefaßten Chronik der Jahre 1794-1832. [Lepping] (Abgedruckt aus dem Westfälischen Merkur 1883.) Zum Besten hiesiger Kleinkinder-Bewahrschulen. Münster, gedruckt und in Commission bei Friedrich Regensberg. 1883.

Verfasser nachfolgender Chronik ist der am 28. November 1836 im Stiegerschen Hause am Alten Fischmarkt hierselbst im Alter von 70 Jahren als Caplan der Lambertikirche verstorbene Priester Antonius Lepping. Derselbe scheint jedoch, wie der Schluß der Chronik vermuthen läßt, bis zum Jahr 1833 in irgendwelcher geistlichen Stellung in der hiesigen Ludgerikirche fungiert zu haben.

Auszüge aus der Chronik der Jahre 1794 bis 1832

Flüchtlinge vor mehr als 200 Jahren! Und heute?
Im Sommer des Jahres 1794, als die Franzosen Brabant eroberten, hat sich eine große Menge französischer Geistlichen nach Münster geflüchtet. Wer sie ansah, wurde zum Mitleiden bewegt. Viele unter ihnen hatten feine Kleider, Schuhe und Strümpfe. Um diese Geistlichen unterzubringen, haben sich hier die Leute alle Mühe gegeben. Von Tag zu Tage sah man neue Ankömmlinge. Da gingen sie einher, ihre Bündel auf dem Rücken, welche nur wenige Effecten enthielten, von einer Wache begleitet, die sie zum Officier der Hauptwache und von da zum Stadtrichter führte, um ihre Pässe und Scheine untersuchen zu lassen, da man fürchtete, daß vielleicht schlechte Leute sich untergemischt hätten. Man sah allerlei Ordenspersonen hereinkommen: Capuciner, Observanten, Carmeliter. Auch ganze Nonnen-Convente kamen hier an: so ein starkes Convent Bernardinerinnen, die aber noch Vermögen hatten, und ein Convent Clarissen aus der Stadt Lüttich in braunem Habit. Sie kamen beider Nacht zum Oberservantenkloster (auf der Bergstraße), weil die begleitenden Beichtväter Observanten waren; sie waren hungrig und durstig und wußten nirgends zu bleiben. Wen hätte ein solches Schicksal nicht zum Erbarmen bewegen sollen! Ein Juden, ja ein steinernes Herz mußte erweicht werden. Weil aber die Menge der Geistlichen so groß war, daß sie alle in der Stadt nicht untergebracht werben konnten, so kamen auch die umwohnenden Bauern, sich der Nothleidenden zu erbarmen, sie unter Dach zu nehmen und ihnen Kleidung, Essen und Trinken zu geben. Als dann im September die Franzosen auch die Maas überschritten, fing das Flüchten nach Münster aufs Neue
an. Es kamen Personen aus allen Ständen hier an, so daß am 1. October, wo die Fremden hier aufgeschrieben wurden, ihre Anzahl sich auf 1054 belief, worunter 283 Geistliche (Priester, Mönche, Nonnen)..

Wegen der Menge von Emigranten wurde in der Minoritenkirche französisch gepredigt und nachher von einem frommen französischen Dominicaner in St. Servatii-Kirche; und der Cardinal Erzbischof von Rochefaucault erließ einen Hirtenbrief in lateinischer Sprache an die französische Geistlichkeit. Im Kloster Verspoel wurde eine Verpflegungsanstalt errichtet für die unbemittelten alten und ehrwürdigen französischen Geistlichen, welche daselbst die Tafel hatten.

Wetter, Störche auf Ludgeri, ein Komet, tödliche Epidemie
Der Winter von 1798 in 1799 war überaus kalt, und die Kälte währte sehr lange. Um Weihnachten war sie so ungewöhnlich, daß im Hamburger Journal und anderen Zeitschriften behauptet wurde, daß in 400 Jahren eine so grimmige Kälte nicht erlebt sei.

Zwei Störche haben sich eine Zeitlang auf St.Ludgeri Thurm aufgehalten und einer derselben hat eine Ruthe auf die Hauptwache getragen. Auf kurze Zeit hat sich and ein kleiner Komet sehen lassen.

Im Herbst dieses Jahres erschien ein großer Komet. Wenn man vom Michaelsplatze hinauf zum Dom sah, so war es, als wenn man den Stern, der auf dem Dom zu Köln über den h. drei Königen abgebildet steht, in natura sähe. Er schien vier Monate hindurch. Um diese Zeit war auch ein großes Sterben an der rothen Ruhr, die seit dem siebenjährigen Kriege hier nie so heftig aufgetreten ist. Das Todtengeläute wurde eingestellt, um die Kranken nicht zu erschrecken; auch das Schellen beim Uebertragen des Viaticum wurde aus derselben Ursache verboten. Zur Zeit dieser Krankheit, die auf das anhaltende Gebet der Gläubigen durch Verwendung der göttlichen Mutter bei ihrem Sohne vorüberging, stieg ein undankbarer Flegel durch das Fenster in die Ueberwasserskirche und bestahl das Gnadenbild.

Brand mit Toten
Im Jahre 1811 im August am St. Bernardstag sind in Vreden von 500 Häusern 311 abgebrannt, außer dem vier Kirchen und das Franciscaner-Kloster. Auch ein Pater ist mitverbrannt. Er war schon aus dem Hause, hatte aber sein Taschentuch vergessen; er geht hin, um es zu holen, und kommt nicht wieder.

Säkularisierung - Die Enteignung der Kirchen und Klöster
Was man lange gefürchtet, traf nun ein. Das Decret Napoleons vom 14. November 1811, worin die Suppression, aller Klöster und Capitel, das hochwürdige Domcapitel und die adligen freiweltlichen Stifter und Klöster nicht ausgenommen, verordnet war, und das im December von einem französischen General bekannt gemacht wurde. Das war ein harter Schlag für die Münsterländer und die Stadtmünsteraner, welche der Religion noch anhänglich waren. Das Decret wurde mit großer Härte ausgeführt. Schon am 4. Januar 1812, dem Lage der h. Angela, waren sämtliche Klöster und Klosterkirchen zu Münster geräumt. An diesem Lage durfte kein Mensch mehr in denselben angetroffen werden. Die Ausländer und Ausländerinnen holten Pässe zur Abreise. Die Inländer sollten Pension erhalten, die Ausländer aber nur ein Zehrgeld für die Reise. Schlimm war es auch, daß damals zum Auslande Gegenden gehörten, die allezeit münsterisch gewesen waren, z. B. Warendorf, Ahlen. Ueberdies sind verschiedene Ordensgeistliche so impertinent behandelt worden, wie dies gewiß unter keiner der vorigen Regierungen geschehen wäre. Auch die lotharingischen Jungfrauen, die dem Unterrichte der Jugend sich widmeten, mußten weichen; nur die barmherzigen Brüder durften nach Ablegung des Habits bleiben; aber man klagte noch über überflüssiges Personal. Für Münster war der Umstand von großem Vortheil, daß sehr viele Ordenspersonen aus den aufgehobenen Klöstern des Landes in der Stadt sich niederließen; sie haben vielen Handwerkern und Kaufleuten großen Verdienst gebracht, da sie sich Alles neu anschaffen mußten.

Die Kirchengeräthe und Kirchenzierrathen der aufgehobenen Klöster find öffentlich verkauft worden, so bei den Clarissen und Franciscanern. Die Sachen flogen wie die Schneeflocken umher, so daß man sich in die Wiedertäuferzeit zurückversetzt glaubte. Als man sah, welch' großes Ärgernis das Volk daran nahm, daß Juden mit Meßgewändern handelten, wurde verbreitet, der Verkauf sei zu voreilig und nicht auf Anordnung Napoleon's geschehen; der hätte die Sachen lieber armen Kirchen geschenkt.

 

Abbruch der Lambertikirche
Man sprach damals auch überall von der Wegräumung mehrerer Stadtpfarrkirchen, besonders der von St. Aegidii und St. Lamberti.

Den Lambertithurm wolle man auf eine neue französische Manier abbrechen, und nach Abbruch des Thurmes und der Kirche den Lamberti-Kirchhof in einen Napoleonsplatz umwandeln. Als der Gottesdienst in den Ordenskirchen aufhörte, fing der Pastor zu St. Jacob im Dom die 4 Uhr-Abendandacht an; ebenso der Pfarrer ad S. Magdalenam in seiner Kirche; auch in der St. Ser vatiikirche wurden zu späterer Stunde Abendandachten angeordnet. Die im Predigen so berühmten Franciscaner- Observanten Salzmann und Hanemann blieben, obschon sie als Ausländer betrachtet wurden, noch eine Zeitlang zurück und predigten als Weltgeistliche im Dom. Aber auf geschehene Anfrage seitens der Regierung in Paris wurden sie verjagt.

Versteigerung und Abriss der Jakobinische
Im selben Jahre 1812 ist die St. Jacobikirche auf dem Domhofe den Meistbietenden unter der Bedingung verkauft, daß der Ankäufer dieselbe abbrechen lassen müsse. Ebenso find alle Güter des Domcapitels und der anderen Capitel als Nationalgüter verkauft. An einen Präfecten und Maire waren wir bereits gewohnt, als um St. Johannis Mittsommer auch Municipalitätsräthe angestellt wurden und das Tribunal in der Kanzlei auf dem Domhof sich versammelte, wobei die fungirenden Herren in einem besonderen Costume erschienen.

Guillotine
Vor der Kanzlei wurde die Guillotine errichtet - auf dem Domhof, der früheren Immunität, wo vor dem der clerus primarius seinen friedlichen Glanz leuchten ließ, wo kein Soldat sein Bayonnet aufstecken durfte! Es ist dort auch in diesem Jahre wirklich mit der Guillotine gerichtet worden.

Kirchliche Feiertage
Für das Jahr 1813 war der hier gedruckte Almanach nach französischem Schnitt eingerichtet. Er enthielt nur sechs Feiertage für das ganze Jahr, nämlich außer den vier Hochzeiten noch Christi-Himmelfahrt und Aller-Heiligen. Man hat sich aber im Münsterland nach dieser Verminderung der Feiertage nicht gerichtet, sondern alle bisher gewöhnlichen Feiertage gehalten.

Katharina Emmerich
In diesem Jahre wurde es auch weltkundig, daß die ehrwürdige Jungfrau Catharina Emmerich, eines nahe bei Coesfeld wohnenden Kötters Tochter, nunmehr Exconventualin des Klosters Agnetenberg zu Dülmen, von Gott mit den fünf Wundmalen begnadigt worden. Viele Leute sind von hier dahin gereift, theils andächtige, theils neugierige; sie konnten nicht alle zugelassen werden.

Allerlei: Straßenreinigung, Napoleons Namenstag
Nachträgliche Erinnerungen aus der Präfectur-Beit Dussaillant's und der französischen Zeit überhaupt.
Die Sperre der Thore wurde aufgehoben und der Befehl ertheilt, dreimal in der Woche die Straßen zu fegen. Fiel der Kehrtag auf einen Feiertag, z. B. Ostermontag, so mußte doch gekehrt werden. Am Feste Mariä-Himmelfahrt, Napoleon's Namenstag, wurde feierliche Prozession im Dom gehalten, wobei die großen Paulus-Fahnen wieder vorgetragen wurden. Die Mitglieder der Regierung nahmen Theil.

Belustigung auf dem Neuplatz
Des Nachmittags wurde auf dem Neuplatz eine, wie es hieß, National-Knaben-Uebung veranstaltet, wie sie bisher in Münster unbekannt war. Ein ansehnlicher, der Zweige beraubter und abgeschälter Eichenstamm war in die Erbe gerannt und von unten bis oben mit brauner Seife stark beschmiert; oben an einem Kranze hingen die Preise, welche für den waren, der sie herunterholte. Ein Knabe ohne Rock und mit einem Beutel, der Asche enthielt, kletterte hinauf, indem er bei jedem Momente des Steigens die Seife mit Asche zu überdecken und dadurch des Stammes Glätte und Schlüpfrigkeit aufzuheben suchte. Aber er vermochte doch die Höhe des Stammes nicht zu erreichen, sondern ließ sich nach einer Weile ganz, ermüdet wieder zur Erde herabgleiten.

 

Mehrere andere Knaben erneuerten den Versuch, hatten aber dasselbe Schicksal. Endlich kam einer, der sehr lange an dem Baume hängen blieb und eine ziemliche Höhe erreichte; aber auch er brachte es nicht so weit, daß er mit der Hand einen Preis von dem Kranze hätte herunterreißen können. Ganz er schöpft sank er zuletzt wieder hinab; weil er sich jedoch so brav gehalten und das Publicum so lange amusirt hatte, erhielt er ein Geldstück zur Belohnung. Bei dieser Knabenübung war der Neuplatz voller Zuschauer. Leute aller Stände und jeden Alters sah man diesem Spiele zuschauen, obschon die Jungen sich dabei in abscheulicher Weise beschmutzten und meistens auch ihre Kleider zerrissen. Auch die Herren von der Regierung waren in mit Gold und Silber gestickten Kleidern gegenwärtig. Nachher hat ein französischer Soldat sich die Mühe genommen, den Baum hinanzuklettern und die Preise geholt.

Domplatz wurde Exerzierplatz
Das Militär exercirte an Sonn- und Feiertagen, auch auf dem Domhof und selbst während des Gottesdienstes. Die Petrikirche wurde lange Zeit vom Militär als Magazin gebraucht, ist aber endlich doch wieder innerlich ganz renovirt und den Studenten eingeräumt.

Über Kellerraten und neumodische Allüren
Die Aufseher über die städtischen Wein-, Bier- und Branntweinkeller wurden Kellerratten genannt; sie gingen stets mit großen Registern unter dem Arm über die Straßen. Die Frauenzimmer fingen hier an, auf dem Eise mit Schlittschuhen zu laufen; und die Mannspersonen fingen an, mit Brillen auf der Nase über die Straße zu gehen, auch wenn sie nichts zu Lessen hatten.

Militärisches
1813
Am 13. November Morgens 10½ Uhr trafen unter Glockengeläut und beständigem Vivatrufen 2000 Mann preußischer Cavallerie und Infanterie ein, Abends auch 2000 russische Uhlanen und Kosaken, ebenfalls unter Glockengeläut.

Am 14. November sind die Preußen abgezogen, aber Nachmittags langten andere 4000 Mann preußischer Cavallerie und Infanterie unter dem Geläute der Glocken hier an.

Am 15. November zog der größte Theil der Kosaken ab, dagegen rüdte der General von Bülow mit 5000 Mann Infanterie, Cavallerie und Jäger-Corps unter Glockengeläut hier ein, und jetzt verließ uns auch der Rest. der Kosaken.

Am Feste Mariä Opferung wurde der von den Verbündeten bei Leipzig erfochtene Sieg in allen Kirchen gefeiert. Bald darauf wurde der Befehl erlassen, daß alle Einwohner der Stadt, das weibliche Geschlecht allein ausgenommen, die preußische Cocarde tragen sollten, um ihre Anhänglichkeit an das brandenburgische Haus zu bekunden. Auch die ehrwürdige Priesterschaft mußte die Cocarde anlegen: so etwas hatte man gewiß, so lange Münster gestanden, nicht gesehen. Gegen Ende November sind 300 gefangene Franzosen, theils Douanen, theils Gendarmen, gefänglich hier eingebracht und einstweilen im Zuchthause aufbewahrt. Auch am 1. December sah ich etwa 10 Wagen mit Douanen und anderen Kriegsgefangenen, unter Cavallerie Bedeckung mit entblößtem Säbel, hier ankommen. So waren wir nun provisorisch preußisch, und mit allgemeinem Beifall wurde die bald erlassene Verordnung aufgenommen, daß Niemand von einem Soldaten Wagen, Pferde oder sonstige Effecten kaufen dürfe; wo ein Soldat im Besitze von dergleichen Gegenständen angetroffen würde, solle der wahre Eigenthümer ermittelt werden und die Restitution erfolgen.


Katharina Emmerich
Das Jahr 1815.
In diesem Monat war zu Münster ein von einem hiesigen Mediciner geschriebenes und zu Dorsten gedrucktes Buch zu haben, die Jungfrau Katharina Emmerich zu Dülmen betreffend. Es wurde darin eine Stelle aus der bekannten Schrift von Rolevink citirt, woraus hervorgeht, daß eine circa 1414 geistlich gewordene Jungfrau, Namens Stina, zu Ham, auch die Wundmale gehabt hat, die aber wieder geheilt seien. Auch offerirte sich ein hiesiger Chemiker, an der Katharina Emmerich die Wundmale zu heilen, wenn dieselbe sich entschließen wolle, eine Zeit lang in seiner Wohnung sich aufzuhalten.

Münster wird preußisch
Am 1. März verbreitete sich das Gerücht, daß wir königlich preußisch geworden seien. Dasselbe rührte von zwei Stafetten her, die nacheinander hier eingetroffen waren; es sollte aber noch eine dritte Stafette erwartet werden. Schon wurden neue, schwarz und weiß angestrichene Pfähle an der Hauptwache in die Erde gelassen und die Adler bereit gehalten, welche ausgehängt werden sollten. Weil aber die dritte Stafette ausblieb, wurde nichts aus dem schon bestellten Geläute von den Thürmen der Stadtkirchen und auch die Adler behielt man zu Hause. So dauerte die trübe Ungewißheit noch fort. An dem selben Lage kehrten Pulver- und Rüstwagen mit gehöriger Bedeckung aus Frankreich hierhin zurück, desgleichen eine Anzahl Reconvalescenten, Preußen und Hannoveraner, und am 12. März 150 preußische Jäger.

Am 21. Juni ließ der Herr v. Binde bekannt machen, daß die Franzosen am 18. 200 Kanonen und die Bagage Napoleon's verloren hätten. Dieser Sieg der Verbündeten wurde sofort durch das Läuten der Glocken aller Stadtpfarrkirchen und den Donner der Kanonen gefeiert. Am folgenden Tage, den 22., war dieserhalb feierliches Tedeum im Dom, wobei die Geistlichkeit aus den Pfarrkirchen der Stadt, die Mitglieder der Regierung, die hier anwesenden Officiere der stehenden Armee, der Landwehr und des Landsturmes erschienen sind. Am selbigen Tage gab die hier anwesende Kunstreiter-Gesellschaft unter der Direction des Herrn Blondin eine Vorstellung, die mit dem großen Sprung über sechs mit Reitern besetzte Pferde endigte.

Preußisches Militär in Münster
Am 23. rückten 3000 Mann königlich preußischer Infanterie auf ihrem Marsche gegen Frankreich hier ein. Am 25. war das erwähnte Tedeum in allen Pfarrkirchen der Stadt. So steht nicht zu erwarten, daß sich erfüllen werde, was die voriges Jahr hier durchpassierenden Sachsen sagten: wir kehren bald mit Napoleon als Sieger zurück. Das Gegentheil ist vielmehr schon in Erfüllung gegangen, da diese Sachsen bereits vor etlichen Wochen unter Bedeckung aus Frankreich nach ihrer Heimath transportiert wurden. Am selbigen Sonntage, den 25. Juni, kamen die franken Soldaten aus Wesel und Umgegend nach Münster, um im hiesigen Lazareth untergebracht zu werden; sie hatten in Wesel den dort eintreffenden Blessierten Platz machen müssen. Am 28. war hier viel Preußisches Militär in weißer Uniform.

Königs Geburtstag
Am 3. August wurde Königs-Geburtstag gefeiert. Den ganzen Tag, und auch Abends vorher schon, hörte man auf Anordnung der Regierung die Glocken aller Stadtkirchen läuten und den Donner des Geschützes. Letzteres bestand aus sogenannten Katzenköpfen, weil die Kanonen noch nicht wieder hier waren. Man hatte aber die Katzenköpfe gegen die Stadt gerichtet und deshalb war der Schall eben so stark, als wenn er aus Kanonen gekommen wäre. Des Abends war Illumination. Die ehemalige Franciscanerkirche (Observanten auf der Bergstraße) war inwendig und auswendig erleuchtet und auf dem Domhof hing an jedem Baum eine papierne Leuchte theils in weißer, theils in blauer, theils in rother Farbe. Um diese Zeit war preußisches Courant im nämlichen Werthe mit Conventionsgeld; auch kamen die Tresorscheine in Umlauf.

Friedensfest, Sperlinge, Brand in Amelsbüren, Weltuntergang
Das Jahr 1816.
Am 18. Januar wurde das Dankfest für den in Paris geschlossenen Frieden, nachdem es Abends vorher feierlich eingeläutet war, in allen Kirchen der Stadt Münster gefeiert. Abends wurde im Komödienhause das Schauspiel ,Die Kreuzfahrer’ aufgeführt.

Am 20. Januar wurde die erste Nummer vom Regierungs-Amtsblatt ausgegeben.

In den Monaten Januar und Februar find viele preußische und hannoversche Truppen aus Frankreich heimkehrend durch Münster paffirt. Mit den Bagagewagen waren manchmal Domhof und andere Plätze angefüllt.

Im März sind Laternen an die Thore der Stadt und an die Zollbäume gekommen. In demselben Monate mußte auch jeder Bürger der Stadt, wie die Bauern der Umgegend eine Anzahl von Sperlingen der Polizei ein liefern. Um diese Zeit mußten auch zum ersten Male die ihre Conditionn wechselnden Dienstboten Führungsatteste auf dem Rathhause abgeben  

Am 22. April find in Amelsbüren in Folge eines unvorsichtigen Schuffes 42 Wohnungen eingeäschert, wo bei der Münster und zwei Kinder lebendig verbrannten.

Um diese Zeit las man in den Zeitungen, z.. B. im ,Zuschauer’, in der ,Frankfurter’ und in der ,Leipziger Zeitung’, daß ein berühmter Professor der Astronomie, sich stützend auf die Aspecten der Sonne, den Untergang der Welt auf den 18. Juli vorhergesagt habe. Die Vorhersagung hat sich aber nicht erfüllt; jedoch traf ein besonberes Naturereignis in dem langwierigen Regen ein, in Folge dessen alle Flüsse austraten und die umliegenden Städte und Dörfer überschwemmten. Der Rhein namentlich hat große Verheerungen angerichtet.

Witterung, Verbrechen und andere Nachrichten
1817
Aus dem Monat Februar berichtet das Regierungs- Amtsblatt- u. A. Folgendes: Der Monat Februar hat in der feuchten Witterung alle vorhergegangenen Monate noch übertroffen und sich dazu durch heftige Winde aus gezeichnet. Zwanzig Tage wechselten mit Regen, Schnee und Hagel unter Sturmwinden ab, nur acht Tage blieben ohne Regen, ganz heiter war kein einziger. Ungewöhnliche Naturerscheinungen waren: am 8. ein Nordlicht, in der Nacht vom 15. zum 16., sowie am 21. gegen Mitternacht Gewitter. In dieser letzteren Nacht bildete sich an der Spitze des Kirchthurms zu Borken während beständigen Blitzens eine feurige Kugel, die ungefähr fünf Minuten sichtbar war und sich dann in eine blaue Flamme auflöste. Der Wintersaat auf schwerem und tiefliegendem Boden ist die große Nässe sehr nachtheilig gewesen; ihre Wurzeln sind verfault oder von Würmern und Schnecken gefressen. Nur auf hohen Aeckern steht die Saat noch ziemlich gut.

 

Die Preise der nothwendigsten Lebensmittel und des Rauhfutters sind auch im Februar noch etwas gestiegen; in Holland und in der Nachbarschaft überhaupt stehen die Preise noch höher. Von den Schafen hat die Fäule in mehreren Gegenden kaum ein Zehntel übrig gelassen. Unter dem jungen Rindvieh ist diese Krankheit ebenfalls, doch weniger häufig und mit nicht so nachtheiligen Folgen eingetreten; auch hat sich in verschiedenen Ortschaften die Räude gezeigt.

 

Betrügereien und Diebstähle im Kleinen haben auch in dem verflossenen Monate, vornehmlich in Münster, sehr häufig stattgefunden; die Täter sind bis jetzt nur zum Theil ausgeforscht und ergriffen. Eine Räuberbande ist durch den dafür besonders belohnten Polizeidiener Strotkamp zu St. Mauriz entdeckt; neun dazu gehörige Individuen sind bereits verhaftet. Die so häufigen Diebstähle haben zur Vermehrung nächtlicher Landsturm-Patrouillen, sowie zur genauern Untersuchung der von fremden Behörden ausgestellten Pässe und zu strengeren Maßregeln gegen Bettler und Vagabunden Anlaß gegeben. In Folge dessen sind denn auch schon mehrere derselben über die Grenzen transportirt. Besonders start hat der Lüdinghauser Kreis von der gleichen Gesindel gesäubert werden müssen.

Katharina Emmerich
1819
Die königl. Regierung hatte den Beschluß gefaßt, gegen die Jungfrau Emmerich in Dülmen eine Untersuchung anzustellen. Im August begab sich eine von ihr ernannte Commission dorthin. Alle bisher um die Jungfrau gewesene Personen wurden entlassen und sie selbst in das Haus des Geheimraths Mersmann gebracht. Dort wurden ihr allerlei feine Speisen und Getränke vorgesetzt und die äußersten Versuche gemacht, sie zum Essen und Trinken zu bringen; zuleßt brachte man ihr die Speisen in den Mund; fie aber fonnte nichts bei sich behalten. Man hat sie gewogen u. s. w. Endlich hat der Maire erklärt, er könne das Martern nicht länger ansehen, und befohlen, die Jungfrau wieder in ihre frühere Wohnung zu bringen. Wie unangenehm ihr diese Untersuchung gewesen, erhellet aus ihren Worten, sie habe dabei Schlechtigkeiten kennen gelernt, wovon sie früher keine Ahnung gehabt, und habe darunter mehr gelitten, als wenn man sie vom Kopfe bis zu den Füßen gegeißelt hätte. Man sollte meinen, daß wie Dr. Sutterbed in feiner Schrift sagt, schon der Anblick dieser Dulderin dem ärgsten Barbar hätte Mitleid einflößen müssen und den Gedanken an Betrug in ihm nicht aufkommen lassen könne. Uebrigens waren ihre Wundmale am Unschuldigen-Kindertage vorigen Jahres von selbst geheilt.

Vor Mariä-Himmelfahrt ist die Thurmarbeit an der Überwasserskirche beendigt; die Arbeit hat hauptsächlich darin bestanden, den Thurm unschädlich zu machen.

Es find jetzt alle Stadtthore schwarz-weiß illuminirt. Das Servatiithor sticht dadurch wegen der Länge der Brücke am meisten hervor; es hat sogar eine Schelle zum Wecken des Thorwächters erhalten.

Verbrechen
Im November ist ein Bauer im Kirchspiel Saerbeck in seinem Hause von Räubern überfallen, nebst Frau und Kindern geknebelt und seiner Sachen beraubt. In der Racht vom 24.-25. November drangen in das Haus des Rötters Mettken im Kirchspiel Welbergen fünf Kerle (andere hielten das Haus umstellt), banden alle Bewohner des Hauses mit Stricken und raubten außer 126 holl. Gulden noch mehr Geld und Kleidungsstücke. Am 29. deffelben Monats wurde zwischen Münster und Greven ohnweit des am Wege stehenden Kreuzes Morgens zwischen 7 und 8 Uhr eine Krämerin von Räubern angefallen, die ihr 40 Rthlr. an Geld und verschiedene Waaren abnahmen. Man erzählte auch noch von mehreren anderwärts geschehenen Räubereien. Möchten doch bald die kirchlichen Verhältnisse wieder geordnet werden!

Am 8. December war es so kalt, daß man bei der h. Messe Feuer auf dem Altar brauchte.

In der Nacht vom 27.-28. December ist das Marienbild in Ueberwasser bestohlen.

Wetter, Katharina Emmerich
Das Jahr 1820.
Am 11. Januar hatten wir 19 Grad Kälte und noch am 15. erfror das Wasser bei der h. Messe auf dem Altar. Bei Liedern (Bocholt) ist ein Mann erfroren.

Der literarische Streit über die Erscheinungen an der Jungfrau Emmerich in Dülmen dauert fort. Noch jüngst schrieb Landrath Bönninghausen wider Dr. Lutterbeck, der die Antwort nicht schuldig blieb.

 

Einsturz der Aegidiikirche
Das Jahr 1821.
Im April verbreitete sich die Nachricht durch die Stadt, daß der Thurm der noch kürzlich renovirten Aegidiikirche ausgewichen sei und sich nach der Kirche hin neige. In der Charwoche wagte man schon nicht mehr, das Allerheiligste im Grabe auszustellen. Es kamen Herren von der Regierung mit dem Oberpräsidenten von Binde, um den Thurm in Augenschein zu nehmen; gleich darauf wurde ber Befehl erlassen, die Kirche zu schließen, so daß am Charfreitag die Kreuzweggänger sie nicht mehr betreten konnten und am 28. April die Esquien für die weiland Hofräthin Werner, welche in der Pfarre Aegidii nahe bei der Kirche gewohnt hat, in der Lubgeritirche gehalten werden mußten.

 

Am 2. Mai, Nachmittags 3 Uhr ist dann der Thurm mit den Glocken auf die Kirche gefallen und hat das halbe Dach und das Gewölbe der Kirche mit zum Einsturz gebracht. Es entstand dabei ein solcher Staub, daß die vor Schrecken aus den Häusern hervoreilenden Nachbarn sich buchstäblich einander nicht sehen konnten. Darauf ein gewaltiger Zulauf von Menschen aus allen Stadttheilen. Die Gendarmen mußten Ordnung halten. Gegen Abend trug man bas Allerheisligste unter dem Thronhimmel, begleitet von einer großen Menschenmenge, nach der Ludgerilirche. Wenn einer der Rachkommen sich eine Vorstellung von dem Aegidiithurm machen will, so verweise ich ihn nach Hiltrup; der dorige Kirchthurm ist im Kleinen ein richtiges Abbild unseres beklagenswerthen Aegidiithurms. Im selbigen Monate hat man auch noch das kleine Thürmchen, worin die Uhrglocke hing, abgebrochen.

Unfälle und ein schrecklichesVerbrechen
Das Jahr 1828
Am 9. Januar gerieten hier zwei Personen und am 10. eine unter das Eis und ertranken.

Am 26. lagen im Clemenshospital fünf Personen, welche in diesem Winter auf der Straße ein Bein gebrochen hatten.

In der Nacht zum Feste der h. Walburgis brach ein Dieb, der sein Gesicht geschwärzt hatte, in die Wohnung des Fräulein von Poseck, Exconventualin ad St. Aegidium, ein, um die seiner Meinung nach dort vorhandene Summe von 500 Rthlr. zu rauben. Er fragte das Fräulein nach dem Gelde und erhielt zur Antwort, es befinde sich unten im Hause in ihrer Schatulle. Als er darin nur 70 Rthlr. vorfand, kehrte er voll Wuth zurück, schlug der Dame, die nur ein Auge mehr hatte, einen Nagel in dieses Auge und verstümmelte noch sonst ihren Leib, so daß sie vollständig zum Krüppel gemacht war.

Nachrichten
Das Jahr 1833.
Der Dechant Kellermann läßt von jetzt an die Ludgeritirche den ganzen Tag geöffnet sein.

Am 9. Februar brachten die Studenten dem Oberpräsidenten einen Fackelzug zum Dank für die wertvollen Bücher, welche er der Paulinischen Bibliothek geschenkt hat.

Das Clemens-Hospital ist gegenwärtig schon so er weitert, daß es 60 Bettstellen zählt.

Hier schließt der Chronikschreiber mit der Bemerkung:
Nachdem im Jahre 1814 der Lehrer Lepping an der Lubgerilirche (wahrscheinlich Bruder des Chronitschreibers R..Lepping) gestorben war, bin ich mit seiner Wittwe, Anna geb. Böddiker, in das Haus der Frau Wittwe Brüggemann bei Ludgeritirche gezogen, wo ich als Kostgänger und sie Wittwe Lepping als Magd Aufnahme  fand. Die Wittwe Lepping starb 1. October 1832, die Wittwe Brüggemann 13. April 1833. Ich muß jetzt das Haus, worin ich 18 Jahre gewohnt habe, verlassen, denke aber, wie es in dem Gedicht heißt, daß mir schon im Jahre 1819 verehrt wurde:


In jeder Erdennoth
Hat uns der liebe Gott
Auch Hülf' und Trost gegeben.
Zuletzt kommt noch der Tod
Und führt aus aller Noth
Uns in ein neues Leben.

Uebrigens ist der Chronikschreiber noch nicht sogleich gestorben. Er zog in das Stieger'sche Haus am Alten Fischmarkt und lebte dort noch bis 28. November 1836 als Caplan an der Lambertitirche.