Liebe Leserin, lieber Leser,

das Stadtbild Münsters unterliegt seit Jahrhunderten Veränderungen. Manchmal wandeln sich Gebäude, Straßenzüge oder ganze Landschaften so schnell, dass in Vergessenheit gerät, wie es früher ausgesehen hat.

 

Mit diesem Beitrag werden historische und aktuelle Fotos von vielen Schauplätzen der Stadt nebeneinander  gelegt. Pjer Biederstädt (Journalist und WN-Redakteur) und ich erzählen die Geschichten zu den Bildern. - Die Westfälischen Nachtrichten haben einige Beträge als Serie veröffentlicht.

 

Den 2. Teil  der Geschichte finden Sie hier.

 

Ihr Henning Stoffers


Gestern und heute - Teil I

Im Herzen der Stadt - Am Lamberti-Kirchplatz

Um 1930
Um 1930
2022
2022

Beide Aufnahmen zeigen den Blick vom Lamberti-Kirchplatz auf die gegenüberliegenden Häuser der Salzstraße. Das linke Haus - heute ist dort das Kirchenfoyer beheimatet - hat den Krieg unbeschadet überstanden. Nicht so die  Häuser der Salzstraße, die komplett zerstört wurden. Der  einst ein schmale Durchgang, der die beiden Häusern trennte, ist im Rahmen des Wiederaufbaus in den Nachkriegsjahren verschwunden. Das rechte Haus erhielt an dieser Stelle einen neuen Eingang.

 

Und noch etwas ist erhalten geblieben... Der schief gewachsene Baum hat deutlich an Umfang zugenommen und steht heute in voller Pracht an seiner alten Stelle.

Die Kreuzstraße - Wo der Zahn der Zeit nur langsam nagt

Vergleicht man über 60 Jahre alte Fotos einer Straße in einer Großstadt, stechen fast immer kolossale Veränderungen ins Auge. Oft reicht ein Blick nicht aus, um zu erkennen, ob es sich tatsächlich um den gleichen Ort handelt. Doch es gibt auch Gegenbeispiele – zum Beispiel Münsters Kreuzstraße.

 

Das Nebeneinanderlegen der Aufnahmen von 1959 und heute zeigt vor allem eines: Beständigkeit. Rechts im Bild ist die Brauerei Pinkus Müller, die sich dort schon 1816 ansiedelte. Wie schon auf dem Bild von 1959 zieren auch heute dieselben Schilder die Fassade.

Damals: 1959 eröffnete die Studentenkneipe Cavete in der Kreuzstraße, und zwar schräg gegenüber von Pinkus Müller
Damals: 1959 eröffnete die Studentenkneipe Cavete in der Kreuzstraße, und zwar schräg gegenüber von Pinkus Müller
Heute: Auch im Jahr 2022 zieht die Cavete die Studierenden an. Foto: Pjer Biederstädt
Heute: Auch im Jahr 2022 zieht die Cavete die Studierenden an. Foto: Pjer Biederstädt

Schräg gegenüber eröffnete im Jahr 1959 die Cavete. Sie gilt bis heute – auch dort hat das Fassadenschild von damals überdauert – als Münsters erste Studentenkneipe. Sie war damals eine Besonderheit. Die konservative Kleiderordnung – Anzug, Krawatte, Hut – war auch für Studenten selbstverständlich. Nicht so in der Cavete. Wo die Boheme sich traf, ging es legerer zu. Mit 35 Pfennig fürs Pils, so steht es auf der ersten Speisekarte, waren die Preise studentenfreundlich.

Die Häuserzeile zwischen Buddenstraße und Rosenstraße (auf dem historischen Bild dort, wo die Menschengruppe läuft) wurde erst später gebaut.

 

Im Hintergrund ragt die Überwasserkirche heraus. Eingeweiht wurde sie im Jahr 1040, manche Zeugnis- se deuten sogar auf eine Kirche an dieser Stelle im 9. Jahrhundert hin. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie schwer beschädigt, konnte aber rasch wieder aufgebaut werden, wie hier auf dem historischen Bild zu sehen ist.

 

Vieles ist gleich geblieben, blickt man die Kreuzstraße hinunter. Der größte Unterschied ist wohl der 2005 direkt neben der Kirche entstandene Neubau, der an ein überdimensionales Bücherregal erinnernde Diözesanbibliothek.

Die Salzstraße - Metamorphose einer Straße

Salzstraße um 1900
Salzstraße um 1900
Die zerstörte Salzstraße 1945-1946
Die zerstörte Salzstraße 1945-1946

Die Salzstraße um die Jahrhundertwende zeigt sich als ruhige Wohn- und Geschäftstraße. In der schnalen Straße stehen sich die Giebelhäuser eng gegenüber. Noch sind die Gleise der Straßenbahn nicht gelegt, die im Jahre 1901 nach Münster kommt. Das kleine Geschäft der Westfälischen Korsett-Manufaktur Helene Davids & Co ist rechts im Vordergrund zu erkennen.

 

Das Ausmaß der Zerstörungen zeigt das nebenstehende Bild. Rechts im Vordergrund steht die stark beschädigte Dominikaner-Kirche. Bomben trafen die Lambertikirche. Der herausgesprengte Eckpfeiler des Turms (siehe Foto) konnte 1948 wieder aufgemauert werden.

Juli 2022
Juli 2022

Heute zählt die Salzstraße zu den am stärksten frequentierten Geschäftsstraßen Münsters. In der Fußgängerstraße sind Spuren der Kriegszerstörungen nicht mehr zu erkennen. Die alten Giebelhäuser sind nach der Zerstörung bis auf einige wenige Ausnahme durch Neubauten ersetzt worden. Auch die Straßenbahn, die 53 Jahre das Stadtbild mitprägte, ist lange verschwunden.

Einst Schenkwirtschaft  - Heute Reihenhäuser, Kindergarten und Parkplatz

Försterhaus Jülkenbeck Kanalstraße 159
Försterhaus Jülkenbeck Kanalstraße 159

Die alte Aufnahme entstand um 1910 und zeigt das Försterhaus B. Jülkenbeck an der noch nicht befesigten Kanalstraße. Ein langer Palisadenzaun führt beidseitig am Haus an der Straße entlang. Auf der anderen Straßenseite fließt die kleine Aa stadtauswärts. Die Gegend am Rande der Stadt ist ländlich geprägt. De nahe Stadt lässt sich nicht erahnen.

 

Die große Aufschrift am Haus der Schenkwirtschaft wirbt mit einer Kegelbahn und natürlich mit Wein und Bier, aber auch mit Kaffee - und Kuchen wird es auch gegebenhaben. Mancher Wochenendausflug führte münstersche Familien entlang der Aa zu Jülkenbecks.

Um 2000
Um 2000

Völlig verändert zeigt sich die Gaststätte Jülkenbeck auf dieser Aufnahme. Das  Gebäude ist ,durchmodernisiert' worden. Das alte Fachwerk wird von einer Verklinkerung verdeckt, große Fenster sind eingesetzt und das Dachgeschoss ist ausgebaut worden. Eine deutliche Erweiterung hat der rechte Gebäudetrakt erhalten.

 

Vom Charme des ursprünglichen bäuerlichen Fachwerkgebäudes ist nichts geblieben. Ein nichtssagender Zweckbau steht an dessen Stelle.

 

Holg Holgison schreibt:

Anfang der 80er Jahre habe ich in der Gaststätte Jülkenbeck meine Ausbildung zum Koch begonnen. Zu dieser Zeit wurde die Gaststätte von dem Ehepaar Gillhoff betrieben und lief unter dem Namen ,Altes Försterhaus'. Der Name Jülkenbeck war da schon nicht mehr so oft zu hören. Legendär waren auch jeden Sonntag die Tanzcafès mit gefühlten 100 Käse-oder Schinkenschnittchen! Mitte der 80er ging das Ehepaar Gillhoff in den Ruhestand, und eines der ersten ,Steakhäuser' versuchte dort sein Glück. Ich wechselte zu Homann an der Kanalbrücke Wolbecker Str., also vom Schinkenschnittchen zur sonntäglichen Kuchenschlacht! Leider später auch durch ein Wohngebäude ersetzt!

Sommer 2022
Sommer 2022

Auch an den schlichten Nachkriegsbau der Gaststätte erinnert nichts mehr - nicht  die kleinste Spur ist zu finden. An der Stelle sind 2013 mehrere kleine Mehrfamilienhäuser, ein Kindertagesstätte und ein Anlieger-Parkplatz entstanden.

 

Die einst holprige Kanalstraße entwickelt sich zu einer frequentierten Ein- ud Ausfallstraße. Mehrere Ampeln regeln den Verkehr. Auf der anderen Aa-Seite entstehen etliche Verwaltungsgebäude, Behörden (Deutsche Rentenversicherung, Finanzamt) und das Zentrum Nord mit Bahnhof.

Einst Gaststätte Neuhaus, dann Kristall...

Die Gaststätte Neuhaus (früher auch ,Gasthaus zur Neuen Aa') um 1960 an der Kanalstraße 133. Jahre später hieß die Gaststätte ,Kristall' und hatte einen Biergarten für 120 Gäste.

Im Jahre 2019 musste die Gaststätte schließen. Die lange Durststecke durch die Corona-Pandemie und die Sperrung der Kanalstraße (Hochwasserschutz am Bett der Aa) machten eine Weiterführung Gaststätte Kristall 2022 nicht mehr möglich. Dort, wo einst der Biergarten war, entstand 2022 eine Baugrube für einen Neubau.

Gedächtnis der Region in wertvollem Heim

Der Altbau des Staatsarchivs an der Ecke Fürstenbergstraße/Bohlweg ist bis heute stadtbildprägend und aus kunsthistorischer Sicht ein wert- volles Zeugnis der Zeit des Kaiserreichs.

 

Das Staatsarchiv war seit 1829 am Domplatz untergebracht, konnte aber 1889 in den von Karl FriedrichEndell im Stil der niederländischen Neorenaissance errichteten Neubau umziehen. Und der wurde zur Blaupause: Es handelte sich dabei nämlich um den ersten nach dem Magazinsystem konzipierten Archivzweckbau in Preußen, bei dem aus Brandschutzgründen Magazinbereich und Verwaltungstrakt voneinander getrennt wurden – eine Neuheit, die Vorbild für weitere preußische Archivbauten war.

 


Was bis 2008 unter dem Namen Staatsarchiv Münster firmierte, ist heute die Abteilung Westfalen des Landesarchivs NRW. Es verwahrt Unterlagen zu zwölf Jahrhunderten westfälischer Geschichte. (Foto rechts: Pjer Biederstädt)

Die historische Aufnahme stammt aus dem Jahr 1910. Links neben dem Gebäude blickt der Betrachter in den Bohlweg. Bereits im Jahr 1344 war diese Straße unter dem Namen „uppen bolen“, 1465 als „Vor der Hoersterporten“ bekannt, wie die Stadt auf ihrer Homepage schreibt. Der Name ist auf Bohlen (Holzbohlen) oder Bollen (Kieselsteine) zurückzuführen, mit denen der Weg ausgelegt war.

Das Staatsarchiv aus anderer Perspektive -  Links daneben das Franziskaner Kloster
Das Staatsarchiv aus anderer Perspektive - Links daneben das Franziskaner Kloster

1876 erhielt der zeitweise Franziskaner- und Türkenstraße benannte Straßenzug seinen alten Namen zurück.

 

Bis 1938 mündete der Bohlweg in den Schifffahrter Damm. Zur Erinnerung an die „Heimkehr Österreichs ins Reich“ im Jahr 1938 wurde der Straßenteil von der Unterführung an in Ostmarkstraße umbenannt.

 

Aktuell ist der Bohlweg gesperrt, weil er als Teil der Veloroute zwischen Telgte und Münster fahrradfreundlich umgebaut wird.

Zwei interessante Details auf der historischen Aufnahme: Die Litfaßsäule galt noch als neumodisch, weil der Berliner Drucker Ernst Litfaß sie erst 1854 erfunden hatte. Und zweitens das Schild an der Gaslaterne, das das Betreten der Grünflächen an der Promenade untersagte – heute undenkbar.


Quellen

Texte: Pjer Biederstädt und Henning Stoffers

Fotos, sofern nicht anders angegeben: Sammlung Stoffers (Münsterländische Bank-Stadtarchiv)