im April 2024

Liebe Leserin, lieber Leser,

Bernd Schürkötter - Foto: Henning Stoffers
Bernd Schürkötter - Foto: Henning Stoffers

Bernd Schürkötter ist mir seit mehr als 10 Jahren bekannt, und immer wieder lerne ich neue Facetten seines Lebens kennen.

 

Anfangs hat er unser Haus auf Schimmelbefall untersucht und Ratschläge gegeben, was zu tun ist. Später hatten wir wieder Kontakt, als ich über die Kinogeschichte Münsters schrieb. Mit  alten Fotos und Dokumenten aus seinem Archiv bereicherte er den geschichtlichen Rückblick.

 

Nun führten unsere Wege wieder zueinander, denn ich wusste, dass Bernd in den 1970er Jahren als Discjockey aktiv war. So tat sich mir eine wahre Fundgrube auf. Bernd erzählte mir seinen Werdegang als Discjockey - garniert mit Fotos, alten Dokumenten und kleinen Anekdoten. Nebenbei erfuhr ich, dass er einen Beruf erlernt hat, den es heute nicht mehr gibt: Schriftsetzer und Buchdrucker.


Discjockey der 1970er Jahre

Bernd Schürkötters Erinnerungen

Mönsters Tenne und Batavia 510

Künstler wie die Beatles, Rolling Stones, Bill Haley, Bob Dylan, Jimi Hendrix oder Janis Joplin u.a. verändern in den 1950er und 1960er Jahren grundlegend die Musikszene und damit auch die Welt. In dieser Zeit schießen in Deutschland die ersten Discos wie die Pilze aus der Erde. In Gaststätten werden an den Wochenenden von Discjockeys Schallplatten zum Tanz aufgelegt. Das ist etwas Neues, etwas Revolutionäres, was es vorher noch nicht gegeben hat. Bei der Jugend werden offene Türen eingerannt.

 

Es sind auch die Jahre des Umbruchs, die 1968 mit Protesten der Jugend und Studenten gegen Althergebrachtes ihren Höhepunkt erreichen.

Die Anfänge

Es ist das Jahr 1968, Bernd ist 15 Jahre alt und ist Schriftsetzer- und Buchdruckerlehrling. Von seinem kleinen Lehrlingsgehalt wird ein Schallplattenspieler gekauft - in jener Zeit der Traum eines jeden Jugendlichen. In seinem Zimmer im elterlichen Haus in Everswinkel wird der Plattenspieler das Kernstück seiner schlichten Musikanlage.

 

Samstagnachmittags ist Bernd mit seiner Anlage regelmäßig im katholischen Jugendheim und legt Platten auf. Der Tanztee heißt neuerdings Disco. Während der Abendmesse darf keine Musik gespielt werden, aber danach können bis 22 Uhr wieder Platten aufgelegt werden.

 

In dieser Zeit wird die Grundlage für seinen späteren Beruf als Discjockey gelegt. Mit jugendlicher Begeisterung hört Bernd Radio Luxemburg, kauft Schallplatten und bastelt an seiner Musikanlage. Und er hat begeisterte Zuhörer, wenn er seine Ansagen beim Auflegen der Platten macht.

Disco in Bernds Zimmer
Disco in Bernds Zimmer

Ein Traum erfüllt sich: Discjockey in der Tenne am Alten Fischmarkt

Zuhause in Everswinkel - Bernds 16. Geburtstag
Zuhause in Everswinkel - Bernds 16. Geburtstag

Die Lehrzeit ist vorbei, und Bernd arbeitet seit 1971 als Schriftsetzer bei Aschendorff. Abends geht es zum Schwofen in Mönsters Tenne am Alten Fischmarkt. Wie es der Zufall will, wird gerade ein Discjockey gesucht. Bernd nimmt all seinen Mut zusammen und spricht den Geschäftsführer an, dass er diesen Job gern machen möchte. Zu dieser Zeit hat Bernd einen Sprachfehler, er stottert. Man hat deshalb Vorbehalte, lässt ihn dennoch probeweise ans Mikrofon.

Die erste eigene Autogrammkarte- Kath. Jugendheim
Die erste eigene Autogrammkarte- Kath. Jugendheim

Aber als Bernd am Plattenteller sitzt, ist das Stottern wie weggewischt. Wie kann dies sein, fragen sich die Leute von der Tenne. Vielleicht lässt es sich dadurch erklären, dass Bernds Liebe der Musik gehört. Er sagt selbst, wieviel Freude es ihm macht, die Musik auszuwählen, in ihr aufzugehen und dabei die Menschen anzusprechen, zu begeistern und einzubinden. Das befreit ihn offensichtlich von seinen sprachlichen Hemmnissen.

 

Nach einer Probezeit wird er eingestellt; das Arbeitsverhältnis bei Aschendorff ist inzwischen aufgelöst. -  Seinen Sprachfehler kann Bernd im Laufe der Zeit übrigens vollständig abtrainieren.

 

Arbeitgeber ist die Dreßen KG, die im Münsterland etliche Discos betreibt. Der Arbeitsvertrag aus dem Jahre 1972 sieht ein relativ hohes Gehalt von 1.094 DM, zuzüglich 437 DM steuerfreien Nachtzuschlag vor. Allerdings beträgt die Arbeitszeit 65 bis 70 Stunden. Eine 7-Tage-Woche.

Der Arbeitsvertrag und der Arbeitsplatz


Bernds Arbeitsplatz
Bernds Arbeitsplatz

Mönsters Tenne und Batavia 510

Nun ist Bernd in seinem Traumberuf angekommen. Die Tätigkeit ist umfassend: Bernd ist Conferencier, Animateur, Unterhalter, Stimmungsmacher ...und auch Seelentröster, wenn es sein muss. All dies in einer Person.

 

In der Tenne werden die Feste gefeiert, wie sie fallen. Dabei sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt: Tanz in den Mai, Frühlingsfest, Sommerfest, Karneval, Maskenball, Lumpenball, Silvesterball. - Für Bernd  ist dies ein neues, unbekanntes Betätigungsfeld. Er muss schnell hinzulernen.

Bernd Jubiläumswoche 1976
Bernd Jubiläumswoche 1976


Holländische Sängerin Debbie beim Künstlermeeting
Holländische Sängerin Debbie beim Künstlermeeting

Als dann die Tenne ihr 10-jähriges Jubiläum begeht, wird dieses mit einer Festwoche (siehe obige Abbildungen)  gefeiert. Von Radio Luxemburg reist extra ein Moderator an. Ein Yamaha-Motorrad kommt zur Verlosung, eine 30-Stunden-Fete von Freitagabend bis Sonntagmorgen wird veranstaltet, und als Höhepunkt tritt Stargast Jürgen Drews auf - natürlich mit seinem Hit ,Ein Bett im Kornfeld'.  Bernd ist für alles, auch für die Organisation und für den Ablauf zuständig. - Die Disco ist in jener Zeit bis 5 Uhr morgens geöffnet. Ein langer Tag für den Discjockey. Später verkürzt sich die Öffnungszeit auf 3 Uhr, weil sich das Besucherverhalten ändert.

Bernds Vertretung in Mönsters Tenne: Discjockey Bernd Adler (Künstlername Barry) - Späer war er bis zur Schließung Discjockey im Batvia 510
Bernds Vertretung in Mönsters Tenne: Discjockey Bernd Adler (Künstlername Barry) - Späer war er bis zur Schließung Discjockey im Batvia 510

Die Disco Batavia 510 in der Ludgeristraße gehört ebenfalls zur Dreßen KG. Ralf Achenbach, der dort Discjockey ist, hat sonntags seinen freien Tag. Für ihn springt nun Bernd ein und leitet das dort gelegentlich stattfindende Künstlermeeting und die Verlosungen von Reisen.

 

So lernt er die Künstlerinnen und Künstler jener Zeit kennen: u.a. Jürgen Drews, Monica Morell, Elfi Graf, John 'King Size' Russell und James Lloyd. Diese Veranstaltungen erfordern Bernds besondere Aufmerksamkeit, denn das Tonband muss mit der Musik punktgenau einsetzen, und auch die gleichzeitige Moderation des Titels muss locker rüberkommen.

 

Die damalige Technik ist mit der heutigen wenig vergleichbar. Ohne Improvisation wäre nichts gegangen. ..


Dönekes und eine Heirat

Bei einem Karnevalsfest wurde unter den Gästen gewettet, wer eine ältere Frau mit Fahrrad von der Straße holt, bekäme eine Flasche Asbach. Wie auf dem Bild zu sehen ist, hatte es geklappt. Die Dame bekam ein kleines Präsent.

 

Ein anderes Mal gingen Gäste mit einer Säge los und kamen später mit einem 10 Meter langen Baumstamm zurück. Wo der Baum abgesägt wurde, ist nicht bekannt geworden... Vielleicht auf der Promenade? In der Zeitung hat jedenfalls nichts gestanden.

Eine Disco ist einer der idealen Orte, andere Menschen gleichen Alters kennenzulernen. Wieviele Beziehungen und auch spätere Hochzeiten mögen zustande gekommen sein? Eifersüchteleien und Liebeskummer werden an der Tagesordnung gewesen sein.

 

Am Plattentisch stehen immer junge Mädchen, um das Geschehen aus nächster Nähe zu beobachten. Für Bernd ist das natürlich eine feine Sache, im Mittelpunkt zu stehen. Und hier lernt er auch seine spätere Frau Brigitte kennen.

 

Eine Freundin sagt Brigitte, sie solle doch einmal mit in die Tenne kommen. Der Discjockey sei ein interessanter Typ. Aber an dem Tag legt jemand anders die Musik auf, mit dicker Brille und ansonsten eher unansehnlich - kein Typ für Brigitte. Enttäuschung bei ihr. Aber beim zweiten Besuch sieht sie erstmals Bernd. Es gibt Augenkontakte. Bernd spendiert ihr hin und wieder eine Cola-Asbach, und so kommen sie sich näher.

 

Später gesteht sie ihm, dass sie Cola-Asbach nicht mag. Sie bevorzugt Martini...

Rückblick

So richtig Stress habe er nicht empfunden, sagt Bernd in der Rückschau. Mit Begeisterung  - mit Herz und Seele - war er Discjockey. Manchmal stand er sogar auf dem drehbaren Barhocker, um die Stimmung anzuheizen, und verlor dabei einmal das Gleichgewicht. Der Sturz vom wackeligen Stuhl war unvermeidbar...

 

Für die Auswahl der Schallplatten besucht Bernd wöchentlich Radio Hüffer, um Neuheiten herauszupicken. Später werden ihm die neusten Platten direkt von den Plattenfirmen zugeschickt.

 

In der Regel wurden 5 bis 6 Titel aufgelegt, dann gab es eine 15-minütige Tanzpause, in der Getränke für die Gäste angeboten wurden. Der Getränkeumsatz war für die Finanzen der Disco unabdingbar.

 

Ärger habe es nur selten gegeben. Damals gab es noch die britischen Soldaten, die hin und wieder auffällig wurden, wenn unter Alkoholeinfluss kleine Streitereien begannen.

 

Bemerkenswert war die große Zahl der jungen Leute, die am Alten Fischmarkt auf die Öffnung der Tenne warteten. Wie es üblich war, trugen die jungen Herren überwiegend Jackett und Krawatte. Schlaghosen und lange Lockenfrisuren bei den jungen Leuten waren modern. Das Alter der Besucher lag zwischen 18 und 30 Jahren. Das ältere Publikum besuchte die nahegelegene Disco ,Elephant' am Roggenmarkt, die vom Ambiente her konservativer war und besser zu dem Besucherkreis passte.


In der Hochzeit der Discos gehören hauptberufliche Discjockeys der Vereinigung DDO (Deutsche Disc-Jockey-Organisation) an. Gegründet 1964 durch den Vorstand Klaus Quirin aus Aachen.

 

Seine Disco-Zeit lässt Bernd Ende der 1970er Jahre ausklingen und wendet sich neuen Tätigkeitsfeldern zu.

Anmerkung des Autors

Foto: Henning Stoffers
Foto: Henning Stoffers

Beim Schreiben dieses Beitrages erinnere ich mich daran, wie ich damals - 1968 - ausgesehen habe. Genauso wie zuvor beschrieben: Krawatte, Sakko. Den braunen Fischgrät-Anzug hatte ich mir bei Schnitzler im Winterschlussverkauf geleistet, ganz schick dazu das Hemd mit einer Kragennadel. Zu sehen ist auch ein Lautsprecher meiner kleinen Musikanlage, die sich in einem ehemaligen Bücherschrank versteckt.

 

Damals ging ich abends in die Tenne, die gerade neu eröffnet hatte. Zuvor war das Insel-Café am Roggenmarkt mein Ziel, und davor ging's zu Charly Zimmermann, der angesagten Tanzschule in der Neubrückenstraße.


Quellen

Text: Henning Stoffers

Abbildungen, sofern nicht anders angegeben: Bernd Schürkötter